Leseprobe

Einige Vögel zwitscherten als die ersten Sonnenstrahlen über Sir Siegberts Gesicht huschten. Es war angenehm warm und doch nicht so heiß, als dass man schwitzen musste. Sir Siegbert genoss es wie jeden Morgen, sich noch einige Male in seinem Bett herum zu drehen, bevor er endgültig beschloss, dasselbe zu verlassen und in Richtung Frühstück zu schlendern.
Der heutige Morgen verhieß verheißungsvoll zu werden, vier Zillen wurden ab Mittag im Stadthafen erwartet und diese hatten allerlei Tuche und Seide geladen, welche zurzeit überall im Land gefragt waren. Sir Siegbert machte sich sogleich daran, ein bisschen Brot mit Butter zu beschmieren und dieses dann zu essen. Wie jeden Morgen gab es Tee und Wasser dazu. Außerdem lagen immer ein paar Trauben griffbereit, auf dem großen Esstisch aus solidem Eichenholz. Siegbert überlegte, was er anziehen sollte, wenn er gleich seinen Freund Sir Caidel abholte und entschied sich für den dunkelgrauen Samtrock.
Nach dem Frühstück kleidete sich Sir Siegbert mit feinem Samt und machte sich auf den Weg zu seinem Freund Sir Caidel. Dieser würde sicherlich noch schlafen, vielleicht sitzt er aber auch schon auf der Veranda und trinkt seinen Tee. Mit allerlei Gedanken vertrieb sich Sir Siegbert den kurzen Weg zu seinem Partner. Am Anwesen angekommen, klopfte er aufdringlich an die Eingangstür. Als nach einigem Warten immer noch niemand die Tür öffnete klopfte Sir Siegbert ein weiteres Mal, dieses Mal jedoch war er kurz davor die Tür aus der Angel zu klopfen. Ein bisschen gereizt machte sich Sir Siegbert auf, das Anwesen zu umrunden, um sich zu überzeugen, dass alles in Ordnung ist und Sir Caidel wohl lediglich noch in tiefem Schlaf liegt. Dabei fiel ihm sofort die geöffnete Tür des Seiteneingangs auf. Das Gartentor stand ebenfalls offen, was irgendwie unheimlich war. Sir Caidel verließ niemals das Haus durch den Seiteneingang, hier konnte ihn schließlich kaum jemand sehen, wie er elegant auf die Straße trat. Außerdem würde er auch nicht sein Gartentor aufstehen lassen. Sir Siegbert fragte sich, ob dieses Tor jemals benutzt worden sei. Seit er seinen Freund kennt jedenfalls nicht. Hier könnten Dienstboten Ein- und Ausgehen, oder die Kinder spielen, aber Sir Caidel hatte weder Dienstboten noch Kinder und daher war ein geöffnetes Gartentor an der Seite des Anwesens schon etwas Besonderes. Siegbert trat auf das Grundstück und suchte instinktiv nach einem Gegenstand, der geeignet dazu wäre, jemandem den Schädel zu spalten, oder wenigstens ernsthaft zu verletzen. Leider konnte er nichts Brauchbares finden, daher beschloss er direkt in das Haus zu gehen und sich in der Küche, welche er ja als erstes betreten würde, mit einem Messer zu versorgen.
Diesen kühnen Plan setzte er sogleich auch um und stand nun im Eingangsbereich des Hauses. Links von ihm die Eingangstür, hinter ihm die Küche. Gegenüber das Arbeitszimmer sowie ein Raum, der schon immer leer stand. Rechts die Tür zur Bibliothek und zum Esszimmer, daneben die Treppe nach oben. Sir Siegbert ging vorsichtig Stufe für Stufe nach oben und achtete penibel darauf, dass er keine Geräusche dabei machte. Oben angekommen, versicherte er sich, dass niemand auf der Galerie lauerte und dann machte er sich zielgerichtet auf in das Schlafgemach seines Freundes. Bereits einige Meter davor konnte er erkennen, dass auch hier die Tür offen Stand, was in Anbetracht der Gesamtumstände nun nicht wirklich überraschend gewesen ist. Sir Siegbert fasste das Messer nun noch fester und ging vorsichtig in das Schlafgemach. Niemand da, nicht hinter der Tür, nicht im Schrank, nicht unter dem Bett, und im Bett schon gar nicht. Irgendetwas schien nicht zu stimmen, dachte sich Sir Siegbert und schaute sich weiter um. Da fiel ihm auf, dass neben dem Bett eine Pfütze und einige Glasscherben lagen. Hier muss ein Glas Wasser auf der Nachtkonsole gestanden haben, dachte er bei sich. Dass es sein Freund wohl nicht absichtlich umgestoßen habe dachte er sich ebenfalls, was ebenfalls darauf hindeutete, dass hier irgendetwas nicht in Ordnung war. Bei genauerem Betrachten des Fußbodens konnte Sir Siegbert feststellen, dass Lehmspuren auf dem Boden hafteten, die darauf schließen ließen, dass hier jemand mit Stiefeln umhergetappt ist. Doch Sir Caidel pflegte Seine Stiefel und Schuhe im Eingangsbereich abzulegen und gegen Pantoffeln zu tauschen, weshalb hier wohl mindestens eine andere Person anwesend gewesen sein muss.
Langsam aber sicher wurde Sir Siegbert klar, dass sein Freund wohl gegen seinen Willen Besuch hatte, und dieser ihn auch mitgenommen haben muss. Glücklicherweise waren nirgendwo Blutspuren zu finden, was ein wenig Hoffnung machte, dass es seinem Freund den Umständen entsprechend gut geht.
Sir Siegbert war nun sicher, dass niemand mehr im Haus sei und durchsuchte jeden Raum nach Spuren bezüglich des Verschwindens seines Freundes. Vielleicht würde sich ein Hinweis darauf, dass Sir Caidel das Haus doch freiwillig verlassen habe um etwas zu organisieren oder zu erledigen, finden lassen. Doch leider verlief die Suche ergebnislos. Nach einer halben Stunde gab Sir Siegbert auf und machte sich auf den Weg nach Hause, um dort über das weitere Vorgehen zu grübeln.