Nicht mehr ganz dicht
Aufatmen, zumindest vorerst. Seit gestern sieht es so aus, als ob die bundesweit umstrittene Regelung zur Kanalsanierung in NRW erst mal vom Tisch ist. Dies kündigte gestern jedenfalls Umweltminister Remmel (NRW) an. Dies bedeutet auch, dass die Hausbesitzer zunächst nicht gezwungen werden, enorme Summen für die Sanierung der auf ihrem Grundstück befindlichen Kanäle zu übernehmen, denn diese Regelung war ja kurzzeitig in Kraft, und ist es in anderen Bundesländern immer noch.
Die geplante Aussetzung ist natürlich löblich, da durch die zwangsweise Durchsetzung solcher Vorschriften natürlich die übliche Beweislast umgekehrt wird, und nun der Betroffene beweisen muss, dass er unschuldig ist. Unschuldig im Sinne von, dass er entgegen der Grundsatzvermutung der Undichtigkeit doch noch ganz dicht ist. Verwunderlich ist einerseits, dass hier die Politik wohl mehr auf die Stimme des Volkes gehört hat, als die der Wirtschaftslobby. Denn klar dürfte sein, dass solche Vorschriften eine ganze Branche bundesweit saniert hätten. Dies wird insbesondere schon dadurch deutlich, dass bereits kurz nach bekannt werden der Kehrtwende die ersten Stimmen mehren, welch fatale Folgen dies für die Wirtschaft haben wird. So stellte Gerhart Treutlein, Geschäftsführer des Verbandes der Rohr- und Kanaltechnik-Unternehmen, gestern nun verärgert fest, dass es tausende Arbeitslose geben wird. Schließlich hätten die Firmen der Politikbeständigkeit vertraut und bereits etliche neue Maschinen angeschafft und Personal eingestellt und ausgebildet. Interessant ist der Hinweis auf das große Vertrauen in die Politikbeständigkeit. Ich bin da ganz ehrlich: Wer in den letzten 10 Jahren irgendwie Vertrauen in die Beständigkeit von Politik und deren Entscheidungen gefasst hat, sollte lieber kein Unternehmen führen und für irgendwelcher Leute Einkommen verantwortlich, geschweige denn der Vorsitzende von allen zusammen sein.
Verwunderlich ist aber noch etwas ganz anderes. Eigentlich reichen vage Vermutungen aus, der Staat könnte planen, irgendwie Zwang gegen den Bürger auszuüben oder ihn gar irgendwie prüfen oder gar überwachen lassen, und dies aus rein gefahrenabwehrenden Gründen. Schon das Wort Gefahrenabwehr, begreifen viele als Affront des Staates gegen die Grundrechte der Bürger. Die vielen Blogbeiträge und Kommentare in den solchen belehren den Leser andauernd, dass Gesetze zur Gefahrenabwehr nur ein Haufen Gummiparagrafen sind, um den wahren Helden dieses Landes auf die Füße zu treten. Manche sind verwundert, dass es so etwas überhaupt geben kann, in einem Rechtsstaat wie Deutschland. Schämen soll sie sich, die Merkel, ja schämen. Denn weder den Politikern, noch den Organen wie zum Beispiel der Polizei, kann man trauen. Ordnungsämter gehen gar nicht, da sitzen sowieso nur Muttersöhnchen und solche, die sonst nirgends etwas zu sagen haben. Erst vor kurzem wurde wieder deutschlandweit über die Festsetzung von freien Journalisten von ebenso freien Journalisten berichtet, die friedlich im Wendland ihren Podcast abhielten. Unverschämt. Weniger laut zur Sprache kommt, dass dies keine Journalisten waren, sondern Aktivisten, die über ihren Äther Informationen zur Einsatzlage der Polizei an die vor Ort Blockierenden gaben. Hier waren genauso wenig Journalisten am Werk, wie ich ein Taxifahrer bin, wenn ich einen Bekannten zum Bahnhof bringe oder wie ich ein Geldtransporter wäre, würde ich mir anvertrautes Bargeld zur Einzahlung bringen. Handeln wie privat, Rechte haben wollen wie Institutionen. Ein altbekannter Hut, liebe Leute, und deswegen auch nicht mehr weiter diskutiert an dieser Stelle.
Doch wo waren die vielen Aktivisten und Blogger und neuen Medien als es dem Bürger deutschlandweit an den Kragen gehen sollte? Als dieser Dinge zwangsweise überprüfen lassen sollte, für deren etwaigen Schaden an Dritten er versichert ist. Als es eine große Lobby geschafft hat, aus einer Bestimmung die verhindern soll, dass ungefiltertes Abwasser ins Grundwasser gelangt, gleich einen Zwang zur Prüfung der Kanalanlagen zu basteln, unabhängig vom Alter des Kanals. Hier wurde eine gefahrendabwehrende Maßnahme beschlossen, die den Bürger schon stark bedrängt hätte. Doch von lautstarkem Widerstand in den neuen Medien wie Podcasts und Weblogs keine Spur. Kein Sascha Lobo, der den Lobbyzusammenhang erklärt, kein Sixtus oder Meinungsgleiche in Sicht. Wo waren die ewigen Wiederholungen der Nachdenkseiten (nachdenkseiten.de) zum Thema, und wo zum Teufel waren eigentlich Bosbach, Ströbele und Roth?
Diese Abwesenheit kann eigentlich nur bedeuten, dass die wirklichen Nöte der Bürger, die, die sie unmittelbar treffen und zu Kopfschmerzen zwingen, gar nicht interessieren. Es lässt sie völlig kalt, dass ein älteres Ehepaar die Kosten nicht zahlen kann, und daraufhin gleich ihr ganzes Haus verkauft. Es interessiert sie eigentlich nur ihr eigener Mist. Und das ist dann aber wieder ein bisschen schade. Denn in Zeiten, wo die neuen Medien immer wichtiger werden, wächst auch die Verantwortung derer, die sie beherrschen und nutzen. Es wäre schlichtweg falsch zu behaupten, dass Sascha Lobo nicht Großes geleistet hat, er hat die neuen Medien und Social Network in Deutschland erst richtig populär gemacht. Doch offensichtlich ist er kein Hausbesitzer.
Mittlerweile muss das Feld erweitert werden. Es reicht nicht mehr aus, nur noch über Datenschutz und Vorratsdatenspeicherung zu reden. Es ist wichtig, dass tatsächliche Lebenssituationen problematisiert und angesprochen werden. Denn die Feuilletons und Kommentare der Tageszeitungen verlieren ihre Leserschaft, zumindest offline. Umso deutlicher wird daher auch das Fehlen von spartenübergreifendem Wissen in den einschlägigen Blogs vermisst. Bei Facebook findet sich keine Anti-Dichtigkeitsprüfungsseite, und das obwohl sicherlich mehr Leute tatsächlich betroffen sind, als Guttenberg Fans nach der Plagiatsaffäre ihren Helden genau dort verteidigten.
Die digitale Bohéme hat eine Verantwortung, die sie sich kaum noch entziehen kann. Am Beispiel der Dichtigkeitsprüfung, auch Kanal-TÜV genannt, konnte man sehen, dass dies noch nicht überall so angekommen ist. Schade eigentlich…