Nackt in der Kirche
Wie ich hier so an meinem Schreibtisch sitze und ein bisschen im Netz stöbere, sehe ich, dass eine junge Dame zu 1200 EUR Strafe schuldig gesprochen wurde, da sie einen Gottesdienst gestört hatte. Donnerwetter, denke ich, 1200 EUR ist eine Menge Geld, aber der Richter wies eben auch darauf hin, dass die Frau die Messe in „grober“ und „kaum zu überbietender“ Weise gestört hatte. Dann ist es ja fast schon ein Schnäppchen, denke ich. Sicherlich hat sie eine Herde Elefanten durch den Saal gejagt, mutmaßt man nun, oder aber die Orgel in Brand gesteckt – allesamt Taten, die einen friedlichen Gottesdienst grob stören und schon schwer zu überbieten sind. Liest man weiter erfährt man dann, dass die zur Tatzeit 20-jährige Studentin auf den Altar geklettert war und sich dort bis auf den Slip entkleidet hingestellt hatte und lautstark gegen die Diskriminierung von Frauen in der Kirche und die Meinung von Kardinal Meissner zum Thema Abtreibung protestiert hat. Soso, Privatmeinungen lauthals raus posaunen kostet in der Kirche also 1200 EUR, zumindest wenn man es leicht bekleidet tut. Obwohl ich es ohnehin nicht vorhatte, werde ich nach dem Urteil nun der Studentin aber auch nicht nacheifern und mich bei meinem nächsten Besuch in der Kirche möglichst still und andächtig verhalten.
Was ich auch nicht tun werde, obwohl ich es mir leisten könnte, ist jemanden in der Kirche eine Ohrfeige zu geben. Dies kostet nämlich nur 250 EUR, was ok ist, und besser angelegt, als es zum Beispiel in einer Wirtstube zu versaufen. Mir fielen schon einige Leute ein, denen ich mal eine Ohrfeige verpassen könnte, gerade wo es auch so günstig ist. Die Strafe legte übrigens das gleiche Gericht fest, welches auch die Studentin verurteilte. Diese war nämlich während oder nach ihrem Auftreten von einem Besucher der friedlichen Messe zweimal geohrfeigt worden. Der Täter wurde daher zu 500 EUR Strafe verurteilt.
Zweimal drüber nachgedacht finde ich es jedoch bedenklich, dass die körperliche Unversehrtheit im Vergleich zum Recht auf ungestörtem Zusammensitzen in einer Glaubensgemeinschaft so wenig Wert ist. Meines Erachtens ist den Besuchern der Messe ja gar nichts Schlimmes widerfahren. Da hüpft eine übermotivierte, leicht bekleidete Studentin aufs Podest und ruft Dinge in den Saal. Da kann man entweder nachdenklich werden oder drüber schmunzeln. Nach kurzer Zeit ist der Spuk vorbei und die Kirche steht immer noch. Jeder sitzt an seinem Platz, mit Ausnahme diejenigen die Ohrfeigen verteilen, und eigentlich ist nichts wirklich Weltbewegendes passiert. Alle kommen gesund und munter, nur leicht verspätet, aber mit einer guten Geschichte nach Hause. Ungesund geht es nur für die Studentin aus, die zwei Ohrfeigen einstecken muss. Physische Gewalt gegen gesprochenes Wort. Ich glaube ich weiß, was Jesus dazu gesagt hätte…
UPDATE – 12.12.2014
In der Offlinewelt hatte ich neulich die Gelegenheit den Text intensiver zu diskutieren und ich war doch erstaunt, dass er von meinem Gegenüber recht anders wahrgenommen wurde, als ich ihn gemeint hatte. In der Tat stelle ich bei erneutem Lesen meines Textes fest, dass man an einigen Stellen annehmen könnte, ich würde die Kirche und deren praktizierten Glauben etwas abwerten bzw. ins lächerliche ziehen wollen. Nun, dem möchte ich an dieser Stelle widersprechen. Ich selbst schätze die christliche Kirche und bin seit je her von ihrem Aufbau und Ihrer Geschichte fasziniert. Ich finde es darüber hinaus auch richtig und wichtig, dass es eine Institution wie die Kirche gibt und freue mich, dass sich dort regelmäßig Menschen treffen und versammeln um gemeinsam Danke zu sagen. Darüber hinaus schätzte ich jegliche Form der Gemeinsamkeit und dem Beisammensein, sei es in Schützenbruderschaften oder Sportvereinen. Es ist stets vernünftig, wenn Menschen sich nicht isolieren, sondern partizipieren.
In meinem Text wollte ich auf den für mich nicht nachvollziehbaren Umstand hinweisen, dass hier eine Körperverletzung, das mehrmalige Ohrfeigen einer Frau, so wenig Wert ist. Ich denke immer noch, dass Ehrverletzungen durch Worte, Störungen, Taten die Empörung hervorrufen nicht viel schlimmer sein können, als Taten, die Menschen tatsächlich körperlich Verletzen, schon deswegen, da wir nur einen Körper haben und dieser eben geschützt sein sollte. Ich meine allerdings nicht, dass die Störung in einem solchen heiligen Raum zu hoch bewertet wurde. Meinetwegen kann die Dame auch zu 3000 EUR verdonnert werden, wenn dann auch die Körperverletzung an dieser heiligen Stätte entsprechend scharf geahndet wird.
Ich werde den Text in seiner Form nicht mehr abändern, schon aus Sorge, ihn zu „verschlimmbessern“ – aber ich möchte abschließend noch einmal betonen, dass es mir hier um die „billige Körperverletzung“ im Verhältnis ging, und in keiner Weise darum, denjenigen Menschen, die sich gestört gefühlt haben, das Recht auf Empörung abzusprechen.
Beitragsbild: Wikipedia, Lizenz: gemeinfrei – zum Artikel
Artikel: Welt.de